A. K. Bowman u.a. (Hrsg.): The Roman Agricultural Economy

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Titel
The Roman Agricultural Economy. Organisation, Investment, and Production


Herausgeber
Bowman, Alan K.; Wilson, Andrew
Reihe
Oxford Studies on the Roman Economy
Erschienen
Anzahl Seiten
XVII, 333 S.
Preis
£75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Die Neuauswertung und teilweise Neubewertung der antiken Quellen zur Wirtschaftsgeschichte macht auch vor der antiken Landwirtschaft nicht halt. Dass es hier nicht schon längst zu einem Forschungsumbruch gekommen ist, mag überraschen, stellte die landwirtschaftliche Erwerbs- und Produktionsform doch die mit weitem Abstand stärkste in der Antike dar. Gerade dies bedingte jedoch des Öfteren einen sozusagen konservativistischen Blick auf sie: mangelnde Innovationskraft, traditionelle Strukturen, unspektakuläre Wachstumsraten waren (und sind zum Teil) nur einige der gängigen Zuschreibungen auf diesen wichtigen Wirtschaftssektor in der Antike, auch dies gewissermaßen ein Fortschreiben des erfolgreichen „Primitivismus“-Modells Moses I. Finleys, welches die Forschung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. Dies mag letztlich auch mit der indifferenten Quellenlage zusammenhängen, da die literarischen Hinterlassenschaften der (vornehmlich römischen) Agrarschriftsteller sowie die wenigen, oft topischen Erwähnungen in der sonstigen antiken Literatur nur mit großem Aufwand mit den Informationen aus den noch dazu sehr spezialisierten „Hilfswissenschaften“ Archäologie, Papyrologie und Epigraphik zusammenzubringen sind. Das Aufbrechen der „primitivistischen“ Forschungsposition gegen Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, das namentlich mit der Einbeziehung neuerer Wirtschaftstheorien, insbesondere der Neuen Institutionenökonomie (NIÖ), sowie der vermehrten Rekurrierung auf quantitative Aspekte der Ökonomie verbunden war, hat nun auch dem Diskurs um den Charakter der Landwirtschaft neues Leben eingehaucht.

Hier setzt nun der hervorragend aufgemachte Band aus der mittlerweile schon renommierten Reihe „Oxford Studies on the Roman Economy“ an, der sich, wie alle Bände der Reihe, an den quantifizierenden Methoden orientiert, aber nicht durch Verabsolutierung des methodologischen Rahmens zu Überinterpretationen der Befunde hinleiten lässt. Dies machen die beiden Herausgeber Alan Bowman und Andrew Wilson schon in ihrer Einleitung (S. 1–32) deutlich, indem sie sich einerseits in die Tradition quantifizierender Studien, angefangen bei Franks „Economic Survey of Ancient Rome“1, stellen, andererseits sich von der zum Teil in der „Cambridge Economic History“2 vorherrschenden, insbesondere von Walter Scheidel forcierten Methode der Quantifizierung aufgrund von Schätzungen und Annahmen abzusetzen suchen. Stattdessen setzen sie auf den Einbezug harter, jedenfalls auf den ersten Blick valider Daten, die insbesondere die Archäologie und – für den ägyptischen Bereich – die Papyri bezüglich des landwirtschaftlichen Sektors beisteuern.

Dabei machen die beiden Herausgeber auch bestimmte übergreifende Themenkomplexe aus, die den Charakter der römischen Landwirtschaft mitbestimmen helfen sollen: regionale Unterschiede, Investitionen, Intensivierung, Landkontrolle und -distribution, Status der Arbeitskräfte, der Zusammenhang von Landwirtschaft, Industrie und Handel sowie der Einfluss des „Staates“ auf ökonomische Prozesse. Bei all diesen Faktoren warnen die Herausgeber zu Recht vor Fehleinschätzungen aufgrund der fragmentarischen Quellenlage, etwa bei der ungleichmäßigen Überlieferung von Transportgefäßen für unterschiedliche Fruchtarten oder der Überrepräsentation Ägyptens durch die Papyrusbefunde.

Gemäß der NIÖ untersucht Dennis Kehoe zunächst die Rolle des Staates in der Agrarökonomie (S. 33–53). Er konstatiert dabei zwar vornehmlich fiskalische bzw. politische Interessen des Staates bei Regelungen im Wirtschaftssektor, zeigt aber auch die damit verbundene deutliche staatliche Wirtschaftssteuerung auf; diese habe gerade im Bereich der rechtlichen Rahmenordnungen zusätzlich zu Sicherheit und Stabilität bei Besitzverhältnissen, unabhängig vom sozialen Status, geführt, was er als besonderen Nebeneffekt hervorhebt. Insofern gesteht er dem Staat durchaus wirtschaftliche Ordnungsinteressen zu, wertet diese jedoch im Rahmen seines NIÖ-Ansatzes als „Nebenprodukte“.

Helen Goodchild zeigt anschließend die Möglichkeiten, aber auch Tücken bei der Erstellung von Modellen mithilfe der Geographischen Informationssysteme (GIS) auf (S. 55–83). Anhand zweier konkreter Beispiele aus der Tiberregion und dem ager Veientanus erläutert sie, wie man über die Zusammenstellung der archäologisch wie literarisch fassbaren Überlieferung zur Veranschlagung von Produktionszahlen und Versorgungsraten gelangen kann, wie fragil allerdings auch diese Daten sind, da sie aufgrund der fragmentarischen Überlieferung auch mit geschätzten Faktoren unterfüttert werden müssen. Insofern sei zwar keine exakte Rekonstruktion der landwirtschaftlichen Vorgänge zu erwarten, jedoch könnten archäologische und literarische Informationen in ein sinnvolles Beziehungsgeflecht zueinander gesetzt werden.

Annalisa Marzano wendet sich sodann zunächst in einer innovativen Studie dem Hinterland Roms und dessen agrarischer Produktionskraft zu (S. 85–106). Sie kann deutlich erweisen, wie gerade die massenhaften Funde von provinzialen Amphoren am Monte Testaccio das Bild eines „unproduktiven“ stadtrömischen Hinterlandes entstehen ließen. Indem sie sich anschließend anderen archäologisch nachweisbaren Indikatoren für landwirtschaftliche Produktion wie Pressen für Wein und Öl widmet und hierbei ebenso zur Vorsicht bei der Gebrauchs- und Überlieferungslage mahnt, kann sie zeigen, welch hohe Produktivität tatsächlich vom Hinterland ausging. Letztlich stellt sie aufgrund der Fundverteilung und der Unsicherheit hinsichtlich nicht überlieferter Pressen auch zu Recht die Frage, ob diese Produktion gänzlich auf Latifundien zu Lasten kleinräumiger Produzenten vonstattenging. In einem zweiten Aufsatz erweitert die Autorin ihren archäologisch versierten Blick auf die Regionen Gallien, Spanien und Schwarzes Meer (S. 107–141). Durch ihre vergleichende Untersuchung der Anlage von Produktionsstätten mit mehreren Öl- und Weinpressen kann sie das tendenzielle Wirtschaftswachstum bis Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. ebenso wie den darauffolgenden stetigen Niedergang erweisen. Dessen Beginn bringt sie mit der communis opinio der Forschung mit der Antoninischen Pest in Verbindung, obwohl sie Gegenstimmen und Gegenanzeigen in Form lokaler Sonderentwicklungen nicht verschweigt; gerade diese Sonderentwicklungen lassen sie dann auch plausibel den Ersatz beispielsweise spanischer und gallischer Waren im 2. und 3. Jahrhundert n.Chr. durch Produkte aus der Schwarzmeerregion vermuten, auch wenn dies aufgrund der fehlenden Analyse entsprechender Amphoren (noch) nicht bewiesen werden kann.

Mariette de Vos bettet sodann die archäologische Methode der Pressen- und landwirtschaftlichen Geräteauszählung in der nordafrikanischen Region um Thugga gekonnt in die epigraphische Überlieferung ein (S. 143–218). Anhand von Inschriften mit Besitzerangaben, überlieferten Fragmenten der lex Manciana und der lex Hadriana de rudibus agris sowie Meilensteinen kann sie die wechselnden Bewirtschaftungsformen, insbesondere den Übergang von privater hin zu kaiserlicher Verwaltung, ebenso verdeutlichen wie den Ausbau der Infrastruktur im Zuge des Handelswegeausbaus. Interessant sind gerade die Erkenntnisse für die Spätantike, für welche die Autorin die Übertragung von Ländereien aus kaiserlichem Besitz an Privatleute und die Kirche erweist. Mithin ergibt sich hier ein für weitere Forschungen fruchtbares, wechselvolles Geflecht aus „staatlichem“ Wirtschaftsförderungsrahmen, steuerlich motiviertem Prosperitätsschub und privaten Produktions- wie Handelsinitiativen.

Gleich drei Beiträge nehmen die aufgrund der erhaltenen Papyri deutlicher zu greifenden Verhältnisse in Teilen Ägyptens in den Blick: Alan Bowman, sicherlich einer der besten Kenner des Materials, macht an Auszügen der breiten Materialbasis deutlich, wie beispielsweise die Zahlen zu Landbesitz und Bevölkerung für weitere Berechnungen, etwa die vorsichtige Schätzung landwirtschaftlicher Überschüsse aus der Produktion, benutzt werden können (S. 219–253). Anhand des Mendesianischen Nomos erläutert Katherine Blouin sodann (S. 255–272), welche Rückschlüsse sich aufgrund der überlieferten Steuerterminologien ziehen lassen. Der ohnehin vorherrschende Weizenanbau wurde so seitens des Staates weiter ex- wie intensiviert, auch wenn andere Feldfrüchte ihre Nische hatten und insbesondere für die lokale Diversifikation und Versorgung eine Rolle spielten.

Myrto Malouta und Andrew Wilson beschäftigen sich dann mit der Wasserversorgung in Ägypten (S. 273–305). In Kombination der literarischen Beschreibungen von Wasserhebemaschinen, den papyrologisch belegten mechanischen Wasserhebevorrichtungen und den archäologisch hierzu tatsächlich fassbaren Funden können sie beispielsweise ein planvolles Wassermanagement bereits vor byzantinischer Zeit erweisen. Zuletzt zeigt Hannah Friedman für das Faynan-Gebiet (Jordanien) (S. 307–322), wie die großräumige Wasserversorgungsplanung in spätrömisch-byzantinischer Zeit als Vorbedingung für die Erweiterung der landwirtschaftlichen Produktion mit dem intendierten Ausbau des Kupferabbaus Hand in Hand ging, die mit Letzterem einhergehende Verschmutzung jedoch die Produktionsraten deckelte. Ihre daran anschließenden Berechnungen zum Pro-Kopf-Kalorien-Verbrauch und der Versorgungsrate durch die „verschmutzten“ landwirtschaftlichen Flächen sind jedoch wieder mit vielen Unsicherheitsfaktoren (unter anderem tatsächliche Produktionsrate, Ernährungsschlüssel der Bevölkerung usw.) versehen.

Insgesamt bietet der Band die erfrischende Anregung, in Kombination von archäologischen Daten und den übrigen altertumswissenschaftlichen Quellen einen Mittelweg zwischen quantitativer und qualitativer Methode zum Ausleuchten der antiken Ökonomie zu gehen. Wenn dabei alle Beiträge längere Wachstumsphasen und Innovationspotential für den landwirtschaftlichen Bereich im Römischen Reich konstatieren, dann dürfte dies die neuen Wege zur Beschreibung antiker Wirtschaftssysteme auf ein breiteres, hoffentlich von vielen Forschern begangenes Fundament setzen.

Anmerkungen:
1 Tenney Frank (Hrsg.), An Economic Survey of Ancient Rome, 5 Bde., Baltimore 1933–1940 (ND New York 1975).
2 Walter Scheidel / Ian Morris / Richard P. Saller (Hrsg.), The Cambridge Economic History of the Greco-Roman World, Cambridge 2007.

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